Podiumsdiskussion zur Zukunft des "Assistierten Suizids" in Österreich

Die Änderungen beim sogenannten „Assistierten Suizid“ werfen elementare Fragen nach Leben und Tod auf

(salzburg, virgil presseservice, ms, 13. Okt. 21)

In Rahmen einer Podiumsdiskussion wurde am 12. Oktober 2021 in St. Virgil über die aktuelle Lage und die weiterhin fehlende Gesetzesvorlage betreffend die Rahmenbedingungen, unter denen in Österreich ab 2022 der sogenannte „Assistierte Suizid“ straffrei durchgeführt werden kann, mit Expert*innen beraten.

Der Einladung von St. Virgil Salzburg, der Hospiz-Bewegung Salzburg und den Salzburger Nachrichten waren 140 Teilnehmende gefolgt (60 davon online), um folgende Gäste am Podium zu hören und mit ihnen ins Gespräch zu kommen:

Jürgen Wallner, Theologe, Ethiker und Jurist, Leiter des Ethikprogramms der Barmherzigen Brüder Österreichs, Bundesrätin Andrea Eder-Gitschthaler, Vorsitzende des Landesseniorenbeirates und Irmgard Singh, Hospizärztin der Hospiz-Bewegung Salzburg. Abgeordnete zum Nationalrat Agnes-Sirkka Prammer, Grüner Club im Parlament musste sich aufgrund der aktuell dringlichen Nationalratssitzung kurzfristig entschuldigen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Christian Resch, Salzburger Nachrichten.  

Zwischen der Freiheit zu sterben und dem Recht zu leben

Als Bildungseinrichtung mit christlichem Fundament beschäftigt sich St. Virgil seit Jahren mit den Grenzbereichen des Lebensendes. „Wir begreifen es als unsere Aufgabe, diese Themen im gesellschaftlichen Diskurs zu führen und dem Dialog darüber Raum zu geben“, betont Direktor Jakob Reichenberger. 

Wie viele rechtliche und ethische Klärungen notwendig sind, um Missbrauch und eine Erosion der bestehenden Gesetze rund um das Lebensende zu verhindern, machte Jürgen Wallner in einer Zusammenschau der ethischen Genese dieses VGH-Spruchs klar.

„Es ist durch das Urteil des VfgH – selbst bei Ausbleiben einer weiteren gesetzlichen Regelung – nicht alles erlaubt!“ Verleitung zum Suizid, Tötung auf Verlangen, fahrlässige Tötung und Mord bleiben weiterhin strafbar. Es geht darum, den Vorgang des „assistierten Suizides“ einerseits von diesen strafbaren Handlungen zu unterscheiden, aber auch in Abgrenzung zur pathologischen Suizidalität (etwa bei Depressionen) oder dem Primat der Suizidprävention in einen rechtlichen und organisatorischen Rahmen zu stellen.

Wie ist dieser rechtssicher differenzierbar? Wie sind die Mindestvoraussetzungen von Freiwilligkeit auf beiden Seiten und dem Angebot einer gleichwertigen Alternative sicherzustellen? Und vor allem, wie ist dieser Vorgang mit konkreten Personen, Familien, Diagnosen und Schicksalen unter realen Voraussetzungen umsetzbar? Einerseits für die Leidenden selbst, andererseits für die betroffenen Berufsgruppen, die am Lebensende für Menschen da sind, und nicht zuletzt die Auswirkungen der Freigabe des „assistierten Suizides“ auf die gesamte Gesellschaft.

Der Tod ist anders als die Vorstellung davon

Die Hospizärztin Irmgard Singh erlebt in der Behandlung Sterbender vor allem, dass der Tod an sich ein Tabuthema ist. Aber auch, dass vieles sich ändert, wenn eine gute Schmerztherapie greift – die heute zweifellos in allen Fällen möglich ist – und eine aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit beginnt. „Der Tod verliert dabei ganz oft seinen Schrecken und es geht wieder um das Leben.

Schwerkranke und Menschen am Ende des Lebens nehmen die eigene Lebensqualität anders wahr als Außenstehende. „Es ist schön zu beobachten, wie Palliative Care und Hospizarbeit sowohl fachlich als auch menschlich extrem gut wirksam sind“, weiß die erfahrene Sterbebegleiterin. Wir müssen den Tod wieder als Teil des Lebens begreifen. Sterben passiert nicht mehr im sichtbaren Alltag. Die Gesellschaft muss sich neu mit dem Tod auseinandersetzen. „An mich wurde so ein Wunsch nach Sterbehilfe erst dreimal herangetragen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es mehr Menschen geben wird, die sich aus Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Tod, auf diese Weise entziehen wollen“, so Singh. 

Der Druck auf Senior*innen und Pflegebedürftige wird wachsen

Die Forderungen nach dem Ausbau flächendeckender Hospizangebote und deren Finanzierung und Sicherstellung als „wirkliche Alternative“ zu so einem Schritt sind seit Jahren dringliche, politische Anliegen. Bundesrätin Eder-Gitschthaler sieht in den kommenden Jahren einen nochmals stark ansteigenden Bedarf. Sowohl an Hospizversorgung als auch der Sicherstellung von Langzeitpflege.

„Ich gehöre zur Generation der Babyboomer! Wir werden rein statistisch all das sehr lange brauchen.“ Menschen haben schnell das Gefühl, „zur Last“ zu fallen. Da ist der Schritt zur Gründung von privaten Vereinen, die hier Dienstleistungen anbieten nicht mehr weit. Die Vorstellung, dass die Organisation von „assistierten Suiziden“ zu einem Geschäftsmodell werden, dürfen wir nicht zulassen.

„Eine ausreichende Hospizversorgung ist die wichtigste Voraussetzung, ob eine autonome Entscheidung in Freiwilligkeit überhaupt möglich ist“, betont auch der Obmann der Salzburger Hospizbewegung Karl Schwaiger.

 Ohne wirkliche Alternative keine Freiheit

Das Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs beruht auf der Freiheit des Menschen, sein Leben zu beenden. Ein kategorisches Verbot darf aus Sicht des Gerichtshofes nicht bestehen.

Es obliegt nun dem Gesetzgeber, Sicherungsinstrumente für Beratung, Abklärung, Mitwirkung und den eigentlichen Suizid zu definieren oder auch nicht.

Tritt die Gesetzesänderung ohne flankierende, verpflichtende Maßnahmen in Kraft, bleibt vieles offen. Wie etwa die Frage, ob man überhaupt krank sein muss, um diese „Freiheit“ in Anspruch nehmen zu können.

 Am konkreten Einzelschicksal wird schnell klar, dass die Grenzen fließend sind. Nichts ist nur schwarz oder weiß. Die klare, ethische Abgrenzung fällt oft schwer. Gerade deshalb ist das Gebot der Stunde, weiterhin genau hinzusehen und gesellschaftlich diese Diskussionen offen zu führen.